Keine gegenseitigen Aufklärungsflüge mehr – die USA steigen aus dem „Open Skies“-Abkommen aus, das seit 1992 eine vertrauensbildende Maßnahme zwischen Russland und dem Westen war. Deutschland und andere Nato-Staaten sind gegen den Ausstieg, weil sie anders als die USA die Aufklärung nicht durch Satelliten ersetzen können.
Über die Gründe des Ausstiegs sprach BILD-Chef Julian Reichelt mit Robert O’Brien (53), Trumps Nationalem Sicherheitsberater.
BILD: Herr O’Brien, vielen Dank für Ihre Zeit. Die USA haben kürzlich verkündet, dass sie aus dem Open-Skies-Vertrag austreten, einem wichtigen Luftfahrt-Abkommen. Was sind die Gründe für diese Entscheidung?
Robert O’Brien: „Der Vertrag über den Offenen Himmel, um den es hier geht, gestattet es russischen Flugzeugen, die Vereinigten Staaten und Europa zu überfliegen, um Militär- und Waffenstandorte zu beobachten, und er gestattet es den Bündnispartnern, Russland mit amerikanischen, kanadischen und europäischen Flügen zu überfliegen, um das gleiche Beobachtungssystem durchzuführen.
Das Problem, das wir hatten, bestand darin, dass der Vertrag über den Offenen Himmel einen Offenen Himmel hinsichtlich der Vereinigten Staaten bedeutete, aber Russland war ein verschlossener Himmel. Die Russen haben systematisch gegen den Vertrag verstoßen, indem sie es den verbündeten und amerikanischen Flugzeugen nicht gestatteten, Russland entsprechend dem Vertrag zu überfliegen.
Der Präsident hat gesagt: Wir werden keine Verträge mehr einhalten, bei denen eine Seite die Vorteile genießt und wir nicht. Letzten Endes war es also eine recht einfache Entscheidung, und wir geben heute unseren Rückzug bekannt.“
Was sagen Sie zu Ihren Verbündeten in Europa? Deutschland hat sich stark dafür eingesetzt, dass beide Seiten das Abkommen beibehalten, besonders Heiko Maas hat sich dafür eingebracht. Was ist Ihre Botschaft an Ihre Partner?
O’Brien: „Unsere Botschaft an die deutsche Regierung und die Menschen in Deutschland lautet: Wir sind äußerst enge Verbündete und werden unser Bestmögliches tun. Ich habe gestern mit Jan Hecker telefoniert, dem nationalen Sicherheitsberater in Deutschland, meinem Kollegen.
Wir haben erklärt, dass wir unser Bestmögliches tun werden, um den Verlust an Erkenntnissen abzumildern, den unsere Verbündeten in Europa als Folge von Amerikas Austritt aus dem Vertrag erleben werden. Wir werden unseren europäischen Partnern auch einen Teil der Ausrüstung, vielleicht der Flugzeuge, die wir einsetzen, zur Verfügung stellen.
Doch solange die Russen nicht beschließen, nicht mehr gegen den Vertrag zu verstoßen und amerikanische Überflüge über Russland, Kaliningrad, das georgische Grenzgebiet und ihre Militärübungen gestatten, können wir keinen unilateralen Vertrag hinnehmen, unter dem die Russen ungehindert über Europa und Amerika fliegen, und Amerika und seine Verbündeten dürften nicht über Russland fliegen. Er beruht also nicht auf Gegenseitigkeit, er ist nicht fair, und solange diese Verstöße nicht ausgebessert werden, können wir mit einem einseitigen Vertrag einfach nicht weitermachen.“
Das ist nicht das erste Mal, dass Russland gegen gemeinsame Abkommen verstößt. Ein anderes Beispiel ist der INF-Vertrag. Haben Sie manchmal das Gefühl, die Russen beabsichtigen mit solchen Aktionen ganz bewusst, dass die USA aus den Abkommen austreten?
O’Brien: „Das war wohl seit vielen, vielen Jahren ein Ziel Russlands, als Russland noch die Sowjetunion war, und seit es zur Russischen Föderation wurde. Es gab immer die Bemühungen, einen Keil zwischen die Vereinigten Staaten, ihre Verbündeten, Westeuropa und das Vereinigte Königreich zu treiben. Das hat nie funktioniert. Wir teilen dieselben demokratischen Werte, wir glauben an die Rechtsstaatlichkeit, wir glauben an Freiheit.
Die Russen – egal ob es um dieses Abkommen geht oder um ein anderes – werden keinen Keil zwischen uns und unsere Bündnispartner treiben können. Das wird nicht geschehen. Uns ist bewusst, dass es auf beiden Seiten des Atlantiks unterschiedliche Auffassungen bezüglich dieses Vertrags gibt, und wir respektieren diese Ansichten.
Doch Präsident Trump hat klargestellt, dass es wie beim INF-Vertrag ist. Die Russen bauten nukleare Mittelstreckenraketen – wir hingegen nicht. Als das herauskam, wurden sie damit konfrontiert. Sie wurden nicht nur von uns, sondern auch darüber hinaus von unseren europäischen Verbündeten konfrontiert. Wir können einfach nicht in Verträgen bleiben, bei denen sich die Russen nicht an die Bedingungen halten, wir aber schon.“
Erwarten Sie schwierige Zeiten aufgrund von Corona und dem damit einhergehenden Stillstand und womöglich den Kollaps der Luftfahrtindustrie? Glauben Sie, es wird Konsequenzen für den zivilen Luftverkehr geben, wenn dieses Abkommen nun hinfällig ist?
O’Brien: „Ich kann keine Konsequenzen für die zivile Luftfahrt erkennen, aber ich werde etwas sagen, das mit Ihrer Frage zusammenhängt: Der Sinn des Vertrags über den Offenen Himmel im Kontext des Vertrags, aus dem wir uns jetzt zurückziehen, besteht darin, es beiden Seiten zu ermöglichen, die militärische Infrastruktur auf dem Territorium des jeweils anderen zu beobachten und dadurch hoffentlich Vertrauen zwischen den Ländern aufzubauen, dass nichts Unerwünschtes vor sich geht.
Bedauerlicherweise nutzten die Russen ihre Flüge, um zivile Infrastruktur zu überfliegen. Sie überflogen damit das Weiße Haus, Camp David, den Bedminster Golfclub, auf dem sich der Präsident manchmal aufhält … Die Russen nutzten den Vertrag also aus, um nicht nur militärische Standorte zu beobachten – was der Zweck des Vertrags ist –, sondern auch, um äußerst wichtige Regierungsstandorte in den USA sowie zivile Infrastruktur zu überfliegen. Und das war nicht der Sinn des Abkommens. Was die Gesamtauswirkungen auf die zivile Luftfahrt betrifft, können wir keine Auswirkungen aufgrund des Austretens der Vereinigten Staaten aus diesem Vertrag erkennen.“
Sie erwähnten soeben Kaliningrad, dies stellte ein großes Problem für das INF-Abkommen und den Open-Skies-Vertrag dar. Ihre europäischen Vertragspartner befürchten, dass durch das Ende dieser Vereinbarung nun ungewiss wird, was für russische Militär-Aktivitäten im Bereich von Kaliningrad vor sich gehen. Befürchten Sie die Konsequenzen? Besonders wenn es um die potenzielle Bedrohung geht, die innerhalb von Sekunden entstehen kann?
O’Brien: „Ebenfalls eine sehr gute Frage! Wie Sie wissen, haben die Russen enorm große Mengen an Raketen und Waffen in Kaliningrad aufgebaut, die all unsere europäischen Verbündeten und das Baltikum bedrohen. Leider konnten wir unter dem Vertrag über den Offenen Himmel keinen Überflug über Kaliningrad erlangen.
Der Vertrag erlaubte uns solche Flüge, aber die Russen untersagten sie. Also haben wir die benötigten Erkenntnisse aus diesen Überflügen nicht bekommen. Wir haben andere technische Möglichkeiten, um zu beobachten, was die Russen unternehmen, und wir wollen die Nachteile mit unseren Verbündeten auffangen und sämtliche Erkenntnisse mit unseren Verbündeten teilen, die wir erlangen können, damit unsere Verbündeten verstehen: Was die Russen in der Region Kaliningrad vorhaben, ist ein Dolch im Herzen Westeuropas.
Die Region sollte ein Ort sein, an dem angesichts seiner geografischen Lage großartiger Handel stattfindet, Tourismus, sozialer Austausch zwischen Russland und Westeuropa. Leider hat Russland daraus eine geschlossene Militärbasis voller Hightech-Waffen und Raketen gemacht. Die ganze Situation in Kaliningrad ist eine verpasste Chance für Russland und Europa, und das ist wirklich schade.“
Sie haben wiederholt gesagt, dass Abkommen aus dem Kalten Krieg bald wieder eine Rolle spielen könnten, insbesondere wenn Russland sich nicht daran hält. Es scheint, als wäre das der Anfang eines neuen kalten Krieges, welcher neuer Abkommen bedarf. Ist das der Neuanfang eines kalten Krieges?
O’Brien: „Ich finde nicht, dass es ein neuer kalter Krieg ist. Wir wollen großartige Beziehungen zu Russland. Wir wollen großartige Beziehungen zu den Menschen in Russland. Wir haben gerade sehr gute Arbeit geleistet. Der Präsident und Präsident Putin haben sehr gute Arbeit mit dem König von Saudi-Arabien geleistet, um die weltweiten Ölmärkte zu stabilisieren.
Wir sehen in der Zusammenarbeit zwischen Russland und den Vereinigten Staaten also ein großes Potenzial. Russland leidet unter Covid-19, und wir haben eine schwierige Krise mit dem Coronavirus durchgemacht, das aus China zu uns kam. Wir haben den Russen geholfen, wir schicken ihnen Beatmungsgeräte. Am Anfang der Krise schickten sie Schutzkleidung. Ich glaube also, dass wir eine gute Beziehung zu Russland haben, und ich glaube, wir werden sehr hart an einem neuen START-Vertrag arbeiten. Wir haben ein großartiges Verhandlungsteam, das jetzt zusammengestellt wurde.
Der Präsident hat Marshall Billingslea zu seinem Sonderbeauftragten für Rüstungskontrolle ernannt. Wir werden an einem neuen START-Vertrag arbeiten und versuchen, einen kontrollierbaren, hervorragenden Vertrag über Nuklearwaffen für die Vereinigten Staaten, Russland und unsere Verbündeten zu erreichen. Wir werden also weiterhin an der Rüstungskontrolle arbeiten. Aber um es noch einmal zu sagen: Wir brauchen eine Situation, in der die Verträge auf Gegenseitigkeit beruhen, in der sie von beiden Seiten respektiert werden, und in der sich beide Seiten an den Vertrag halten. Leider war das mit dem Vertrag über den Offenen Himmel einfach nicht der Fall.“
Eine letzte Frage: Sie erwähnten soeben Covid-19. Es ist unklar, wie stark das Virus Russland getroffen hat und welche Auswirkungen es auf die russische Abwehr hat. Wie ist Ihre Einschätzung? Wie stark hat Corona die Militärkraft Russlands beeinträchtigt/beeinflusst?
O’Brien: „Covid-19 hat die ganze Welt hart getroffen, und leider kam es aus China. Das ist etwas, für das China letzten Endes zur Verantwortung gezogen werden muss. Ich glaube, Russland wurde besonders hart getroffen. Wir wollen, dass sich die Russen von der Covid-Krise erholen. Dies ist eine schreckliche humanitäre Katastrophe, die die Vereinigten Staaten hart getroffen hat.
Wir haben 90 000 Menschen verloren. Auch die Russen verlieren viele Menschen. Ihr Gesundheitssystem wurde schwer getroffen. Wir wollen, dass sich die Russen vom Coronavirus erholen. Meine Erwartung und unsere Analyse besagen, dass das russische Militär immer als sehr leistungsfähig angesehen werden sollte.
Wir haben also keinen Grund zur Annahme, dass Russlands militärischen Kapazitäten beeinträchtigt wurden, aber Corona schlägt überall zu. Ich bin mir sicher, dass sie Soldaten, Matrosen, Marineinfanterie und Piloten haben, die vom Coro betroffen sind. Wir wünschen den Russen und all unseren Freunden in Europa alles Gute im Umgang mit diesem Virus, das aus China kam und die ganze Welt sehr, sehr schwer getroffen hat.“