2020-05-20

la clase politica se sirve a si misma no al pueblo son agentes de un sistema global vendepatrias

„Die Politik schützt nicht uns, sondern sich vor uns“

Jonathan Sumption ist in Großbritannien zur Galionsfigur der Lockdown-Kritiker geworden. Er zählt zu den prominentesten Verfassungsrechtlern im Land und warnt vor einer Tyrannei. Aber nicht, weil er Verschwörungstheorien anhinge.
3 Min.
Wenn Boris Johnson kritisiert wird, dann meist von denen, die sich mehr Schutz vor dem Coronavirus erhoffen. Die Proteste gegen die Einschränkungen des Lebens sind dagegen leise geblieben, aber sie haben eine umso sprachmächtigere Galionsfigur. Lockdown-Gegner, die sich für Opfer von Verschwörungen halten, werden sich kaum auf Jonathan Sumption berufen, aber für Kritiker, die politisch, historisch und vor allem rechtlich gegen die Maßnahmen argumentieren, ist der Mann ein Geschenk des Himmels. Lord Sumption zählt zu den prominentesten Verfassungsrechtlern im Land und gilt seit vielen Jahren als Instanz.
Jochen Buchsteiner
Politischer Korrespondent in London.
Schon früh ging Sumption auf die Barrikaden. Kurz nachdem die Regierung den Lockdown am 23. März verhängt hatte, warnte der frühere Verfassungsrichter in einem BBC-Interview vor unverhältnismäßigen Eingriffen in die Freiheit des Einzelnen. „Wenn Gesellschaften ihre Freiheit verlieren, passiert dies meistens nicht, weil Tyrannen sie wegnehmen, sondern weil sie ihre Freiheit bereitwillig aufgeben für den Schutz vor einer äußeren Gefahr.“ Diese werde oft übertrieben, so auch heute. „Jeder, der Geschichte gelesen hat, wird die klassischen Symptome kollektiver Hysterie wiedererkennen“, sagte er.

In „blinder Panik“ gehandelt

Seither meldet sich Sumption immer leidenschaftlicher zu Wort. Anfang des Monats schrieb er einen Artikel in der „Daily Mail“, der bis nach Amerika Wellen schlug. „Covid-19 ist nicht die größte Krise unserer Geschichte, nicht einmal die größte Gesundheitskrise unserer Geschichte. Aber der Lockdown ist fraglos der größte Freiheitseingriff unserer Geschichte.“ Er warf der Regierung vor, in „blinder Panik“ gehandelt zu haben. „Wohlgesagt, Lord Sumption, wohlgesagt!“, schrieb der amerikanische Unternehmer Elon Musk und teilte den Artikel mit seinen 33 Millionen Followern.
Lord Sumption im vorigen Oktober auf dem Weg in die Westminster Abbey, wo der traditionelle Gottesdienst zum Beginn des Rechtsjahres gefeiert wurde.
Lord Sumption im vorigen Oktober auf dem Weg in die Westminster Abbey, wo der traditionelle Gottesdienst zum Beginn des Rechtsjahres gefeiert wurde. :Bild: dpa
Sumption argumentiert vor allem mit dem Verhältnis von Bürger und Staat. Dabei unterstellt er der Regierung keine böse Absicht, sondern sieht sie als Opfer einer falschen Anspruchshaltung der Gesellschaft. „Es ist unsere Entscheidung, nicht die des Staates, welche Gesundheitsrisiken wir auf uns nehmen“, schrieb er am Sonntag. „Freie Menschen machen Fehler und gehen bewusst Risiken ein. Wenn wir die Politiker für alles verantwortlich machen, was schiefgeht, werden sie uns unsere Freiheit wegnehmen, damit nichts mehr schiefgeht. Sie tun das nicht für unseren Schutz vor dem Risiko, sondern für ihren Schutz vor der Kritik.“

Mit Beethoven-Frisur und Hosenträgern

Interviewer weisen ihn immer wieder darauf hin, dass die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo die Freiheit des anderen betroffen ist. Die BBC-Moderatorin Mishal Husain hielt ihm kürzlich vor, dass er doch nicht wissen könne, welches Risiko er für andere bedeute, wenn er etwa ins Theater gehe. Sumption entgegnete, dass doch die Menschen, die mit ihm ins Theater gingen, dasselbe Recht zur Risikoabwägung hätten wie er.
Sumption ist nicht der einzige britische Intellektuelle, der die Überreaktion eines „Nanny-States“ beklagt und den Schaden der Schutzvorkehrungen für höher hält als den des Virus. Die meisten stehen der konservativen Partei nahe, exzentrische Denker wie Toby Young, liberale Kolumnisten wie Matthew Paris oder provokante Historiker wie David Starkey. Sumption lässt sich nicht so leicht einordnen. Er inszeniert sich als Künstler des Rechts. Seine Frisur erinnert an Beethoven, er trägt gerne sichtbar Hosenträger zur Krawatte und lässt sich mit Vorliebe vor Holzvertäfelungen mit Folianten abbilden. 2016 stimmte er für den Verbleib in der EU, kritisiert aber die Menschenrechtskonvention des Europarats.

Johnson als „Fanatiker“ bezeichnet

Als Johnson auf dem Höhepunkt des Brexit-Dramas das Parlament in den Zwangsurlaub schickte, nannte ihn Sumption einen „Fanatiker“. Gleichwohl empfahl er dem Supreme Court vergeblich, den Urlaub nicht aufzuheben. Die Justiz solle sich nicht in die Politik einmischen, lautete sein Argument.
Niemand bestreitet Sumptions Unabhängigkeit im Denken, das er zudem meisterhaft zu formulieren versteht. Wie also reagieren, wenn der „feinste Geist im Land“, wie er einmal genannt wurde, plötzlich radikal opponiert? Die konservative Kolumnistin Melanie Phillips warf ihm am Dienstag Abgehobenheit und Amoralität vor. Der Glaube, dass nur „Erwählte“ (wie er) die Freiheit verstehen könnten, führe das Land in die Tyrannei. Aus seiner eigenen Zunft wurde er ermahnt, sich seiner „riesigen Verantwortung“ bewusst zu werden und sich zu zügeln.

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